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Zum Umgang mit gesellschaftlich dauerhaft unintegrierbarer Heterodoxien: Theorie und Empirie kultureller Abjekte
In diesem Projekt versuchen wir, eine neue theoretische Kategorie ins wissenssoziologische Spiel
zu bringen, mit deren Hilfe einige jener kulturell unsichtbaren (und gerade deshalb wirkmächtigen)
Wissensbestände identifiziert und empirisch rekonstruiert werden können, die in unauflösbarem Widerspruch
zur Wirklichkeitsordnung einer Kultur stehen. Gedanklicher Ausgangspunkt unserer theoretischen Überlegungen
ist die von Julia Kristeva (1980) formulierte tiefenpsychologische Begrifflichkeit ‚abjection’, die wir hier
erstmals in direkten theoretischen Bezug zum heute wissenssoziologisch dominierenden Paradigma der
„gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit“ (Berger/Luckmann 1966) setzen und damit für das
sozialwissenschaftliche Verständnis moderner Gesellschaften fruchtbar machen.
Wenn man Kristevas tiefenpsychologisches Konzept auf die Makroebene von Gesellschaft überträgt, lässt
sich mit dem von uns eingeführten Begriff der ‚kulturellen Abjekte’ eine spezifische Klasse von potenziellen
Wirklichkeitssegmenten benennen, die gesellschaftlich nicht integriert werden können, weil sie den strukturell
unverzichtbaren Grundgewissheiten einer Kultur, der Onto-Logie ihrer Wirklichkeitsordnung, widersprechen.
Da es dieses spezifische Wissen – und die von ihm benannten Erfahrungen und Phänomene – im Verständnis
der jeweiligen Kultur nicht geben kann und, wenn die Wirklichkeitsordnung als eine normative verstanden
wird, auch nicht geben darf, sind dieses Wissen selbst und damit auch seine Referenten in der ontischen
Ordnung kulturell unsichtbar und wissenschaftlich nur unter größter Anstrengung sichtbar zu machen.
In der ersten Projektphase werden wir die neue wissenssoziologische Kategorie theoretisch bestimmen,
von Nachbarkategorien abgrenzen sowie verschiedene Modi und Mechanismen von Abjektion ausdifferenzieren.
In einer zweiten Phase sollen dann unterschiedliche Fallbeispiele aus Geschichte und Gegenwart mittels
der neu gewonnenen Kategorie empirisch rekonstruiert und die entwickelte kategoriale Bestimmung gleichzeitig
evaluiert werden.
Projektleiter/Bearbeiter:
Prof. (apl.) Dr. Michael Schetsche
Bearbeiterin: Martina Biebert M. A.
Publikationen:
Biebert, M.F. & Schetsche, M.T. (2016).
Theorie kultureller Abjekte. Zum gesellschaftlichen Umgang mit dauerhaft unintegrierbarem Wissen.
BEHEMOTH – A Journal on Civilisation, 9 (2), 97–123.
Biebert, M. F. & Schetsche, M.T. (2015): Geisterspiele. Homosexualität im Profifußball als kulturelles Abjekt.
In: F. Mildenberger (Hrsg.): Die andere Fakultät. Theorie | Geschichte | Gesellschaft (S. 157–180). Männerschwarm Verlag: Berlin.