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Personale Medien und das Verbrechen: Die Geschichte der 'Kriminaltelepathie'
in Deutschland (1880-1980)
Ziel des Projekts ist die historische und phänomenologische Rekonstruktion
der Konfrontation und Kooperation von so genannten Kriminaltelepathen und
anderen Medien mit den Strafverfolgungsbehörden in Deutschland vom Ende des
19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart.
Das Gesamtprojekt tritt mit folgenden Leitfragen an:
-wie gestaltete sich das Spannungsfeld von Kooperation und Konfrontation
zwischen 'Medien' und Strafverfolgungsbehörden und welche Rolle spielten die
einzelnen Protagonisten in ihrer jeweiligen Biographie dabei?
-welche positiven und welche negativen Auswirkungen hatte die Involvierung
von Kriminaltelepathen und anderen Medien auf die polizeilichen Ermittlungen
in spektakulären Kriminalfällen?
-wie hat sich der praktische Umgang der Strafverfolgungsbehörden mit
Kriminaltelepathen im 20. Jahrhundert gewandelt und welche Rolle
spielen kriminalpolitische Einflussfaktoren im Kontext des politischen
Systemwechsels?
-welche Übereinstimmungen und welche Differenzen gab es beim Einsatz von
Kriminaltelepathen zwischen kriminalpolitischen bzw. juristischen
Grundsätzen und polizeipraktischen Erfordernissen?
-wie hat sich die expertische und polizeipraktische Beurteilung des
Einsatzes von Kriminaltelepathen in der Verbrechensaufklärung usw.
in Deutschland im 20. Jahrhundert verändert?
-welchen Einfluss hatte und hat der Diskurs über Kriminaltelepathie
auf das Selbstverständnis des wissenschaftlichen Okkultismus und
der Parapsychologie?
-wie wandelten sich die Erwartungen von Öffentlichkeit und staatlichen
Akteuren und welche Faktoren waren entscheidend für Ablehnung bzw.
Akzeptanz eines entsprechenden Einsatzes?
Das Projekt untersucht (aufbauend auf 2010 abgeschlossene Vorstudien)
die historischen Entwicklungslinien der Praxis der Kriminaltelepathie
seit etwa 1880 bis 1980. Die besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den
Verläufen einzelner spektakulärer Fälle sowie dem Wirken prominenter
Kriminaltelepathen.
Als Fundierung werden neben der systematischen Erfassung der
zeitgenössischen Literatur verschiedene relevante Archivbestände
eingehender erschlossen und gesichtet. Zum einen ist hier der im
IGPP aufbewahrte Teilnachlass des Potsdamer Juristen Albert Hellwig
(1880-1951) von Bedeutung. Hellwig galt als genauer Beobachter der
Kriminaltelepathie in den 1920er und 1930er Jahren und hat umfangreiche
Sammlungen hierzu hinterlassen. Zudem werden die eigenen Akten des
IGPP aus der Nachkriegszeit zu diesem Themenfeld aufgearbeitet, die
vor allem die Zusammenarbeit von Hans Bender mit den Kriminalbehörden
aufzeigen.
Auf diesen Archivarbeiten und den verschiedenen Vorstufen basierend
ist das längerfristige Ziel die Erarbeitung einer Gesamtgeschichte
der Kriminaltelepathie im 20. Jahrhundert.
Abschlussarbeiten und bisherige Veröffentlichungen:
Doris Dobranic: Hellseher im Dienste der Verbrechensaufklärung.
Ermittlungsbehörden und Kriminaltelepathen zwischen Kooperation und
Konfrontation, 2 Teile, Diplomarbeit Universität Hamburg 2007.
Michael Schetsche/Uwe Schellinger: "Psychic detectives" auch in
Deutschland? Hellseher und polizeiliche Ermittlungsarbei, in:
Die Kriminalpolizei 25 (2007) Nr. 4, 142-146.
Mirja Huhn: Paranormale Verbrechensaufklärung in fiktionalen
Fernsehserien - eine medienpsychologische Studie, Diplomarbeit
Universität Freiburg 2007.
Jessica Scherneck: Hellseher und Polizei in den 1920er Jahren.
Das Österreichische Institut für kriminaltelepathische Forschung,
Magisterarbeit Universität Freiburg 2008.
Steffen Böhm: Der Prozess Else Günther-Geffers und die Debatte
um die Wissenschaftlichkeit "paranormaler" Phänomene, Magisterarbeit
Humboldt-Universität zu Berlin 2009.
Sebastian Brandt: Der Hellseher von Bernburg. Der Prozess gegen
den Kriminaltelepathen August Christian Drost, Magisterarbeit
Universität Freiburg 2009.
Uwe Schellinger: Trancemedien und Verbrechensaufklärung: Die
'Kriminaltelepathie' in der Weimarer Republik, in:
Marcus Hahn/Erhard Schüttpelz (Hrsg.): Trancemedien und Neue Medien
um 1900. Ein anderer Blick auf die Moderne, Bielefeld: transcript 2009,
311-339.
Silke Zimmermann: "Der Gerichtshof getraut sich nicht zu entscheiden,
wo die Wissenschaft noch nicht entschieden hat." Der Hellseherprozess
gegen Hermann Steinschneider in Böhmen in den späten 1920er Jahren,
Magisterarbeit Universität Freiburg 2009.
Uwe Schellinger: Kriminaltelepathie, in: Gerhard Mayer/Michael
Schetsche/Ina Schmied-Knittel/Dieter Vaitl (Hrsg.): An den Grenzen
der Erkenntnis. Handbuch der wissenschaftlichen Anomalistik, hrsg.
im Auftrag des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und
Psychohygiene e.V. und der Gesellschaft für Anomalistik
e.V. Stuttgart: Schattauer 2015, 215-227.
Uwe Schellinger: "Kriminaltelepathen" und "okkulte Detektive".
Integrationsversuche paranormaler Fähigkeiten in die Polizeiarbeit
im deutschsprachigen Raum 1920 bis 1960, in: Anna Lux/Sylvia
Paletschek (Hrsg.): Okkultismus im Gehäuse. Institutionalisierung
der Parapsychologie im 20. Jahrhundert im internationalen Vergleich
(Okkulte Moderne, 3), Berlin-Boston: de Gruyter/Oldenbourg 2016,
307-340.
Uwe Schellinger/Karsten Koreck: Okkultismus in der Polizeiarbeit: Die Hellseher und die Morde auf der Weißtannenhöl;he (1928/1929), in: Uwe Schellinger (Hg.): locus occultus. Heilender, populärer und wissenschaftlicher Okkultismus in Freiburg 1900 bis 1945, Heidelberg u.a., 217-228.
Uwe Schellinger: Hellsehen für den Staat: Gerard Croiset und die Suche nach Hanns Martin Schleyer (1977), in: Zeitschrift für Anomalistik 18 (2018), Nr. 1+2, 76-103.
Uwe Schellinger: Clairvoyance for the Security of the Republic: Gerard Croiset and the Search for Hanns Martin Schleyer (1977), in: Ehler Voss (Hg.): Mediality on Trial. Testing and Contesting Trance and Other Media Techniques (Okkulte Moderne 2), Berlin/Boston: Walter de Gruyter, 2020, 284-314.
Uwe Schellinger: Feindselige Verhältnisse: Befürworter und Gegner des Kriminalmediumismus um 1900 in Deutschland, in: Zeitschrift für Anomalistik 23 (2023) 14-40.
Kontakt
Uwe Schellinger, M.A.
0761/20721-61