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Basisinformationen zur parapsychologischen Forschung
1. Begriff und Entstehungsgeschichte
Der
Begriff
geht auf den Vorschlag des Berliner Psychologen und Philosophen
Max Dessoir (1867-1947) aus dem Jahre 1889 zurück, "die aus
dem normalen Verlauf des Seelenlebens heraustretenden
Erscheinungen
parapsychische, die von ihnen handelnde
Wissenschaft
Parapsychologie" zu nennen. Dessoir wollte
mit dieser
provisorischen Bezeichnung eine Gruppe
außergewöhnlicher Phänomene kennzeichnen, die in
der Kulturgeschichte zwar immer wieder berichtet wird, deren
Existenz aber seit jeher umstritten ist: Es handelt sich um
verbreitete Erscheinungen und Vorgänge wie
Gedankenübertragung, 'Zweites Gesicht', Wahrträume,
Ahnungen, Spuk- oder Geistererscheinungen, die zumeist als
nicht-alltäglich und emotional besonders bedeutsam
eingestuft werden.
In der historischen Entwicklung der Parapsychologie
lassen sich drei Phasen unterscheiden:
- die Massenbewegung des Spiritismus seit Mitte des
19. Jahrhunderts, die Elemente des Mesmerismus inkorporiert (z.
B. Fluidum, Séancen und behauptete "Jenseitskontakte"
durch besonders "begabte" Medien),
- die Gründung der heute noch aktiven "Societies for
Psychical Research" in London (1882) und in den USA
(1885), die den Beginn einer systematischen und vorurteilslosen
Erforschung 'okkulter' Phänomene markiert, und
- die Etablierung der Psi-Forschung an vereinzelten
Universitäten Anfang des dreißiger Jahre des 20.
Jahrhunderts.
2. Gegenstandsbereich und Phänomenologie des
Paranormalen
Den Gegenstandsbereich der heutigen
Parapsychologie bildet eine Gruppe "anomal" anmutender Erlebnis-
und Verhaltensweisen, die unter dem Oberbegriff
"Psi-Phänomene" zusammengefaßt werden
(nach dem 23. Buchstaben des griechischen Alphabets). Diese
werden üblicherweise in zwei Gruppen untersucht: (1) als
"Psi-Kognition" oder
"Außersinnliche Wahrnehmung"
(
ASW; "extrasensory perception" [ESP]) in den
Formen
"Telepathie" (= 'Übertragung' von
psychischen Inhalten von einer Person auf eine andere ohne
Beteiligung bekannter Kommunikationskanäle),
"Hellsehen" (= Erfassung von 'objektiven'
Sachverhalten, die niemandem bekannt sind),
"Präkognition" (= Erfassung
zukünftiger Vorgänge, die rational nicht
erschließbar sind und auch nicht als Folge des
Vorauswissens auftreten dürfen); (2) als
"Psi-Aktion" oder
"Psychokinese" (
PK), worunter
die 'direkte' Beeinflussung physikalischer oder biologischer
Systeme in Abhängigkeit von der Intention eines Beobachters
ohne Beteiligung bekannter naturwissenschaftlicher
Wechselwirkungen verstanden wird. Bei ASW und PK handelt es sich
um rein
deskriptive Begriffe; zur Vermeidung der
erkenntnistheoretischen Problematik von Negativdefinitionen
werden Psi-Phänomene in Forschungspraxis
operational definiert (s.u.).
Die Aufgabe der parapsychologischen Forschung besteht darin,
Erklärungsmodelle für behauptete Psi-Phänomene zu
finden, worunter auch konventionelle ("natürliche")
Erklärungen in Form von subjektiven Täuschungen oder
Artefakten fallen können. Im Unterschied zu einem
weitverbreiteten Mißverständnis hängt die
Legitimität dieser Forschung also nicht davon ab,
daß sich "Psi" als hypothetisches Konstrukt verifizieren
läßt.
3. Qualitative und quantitative Forschungsstrategien
Die
Parapsychologie verwendet folgende Forschungsstrategien:
- Sammlung, Dokumentation und Klassifikation paranormaler
Spontanberichte unter phänomenologischen,
psychologischen und soziologischen Aspekten. Aus Umfragen geht
hervor, daß z.B. über die Hälfte der
erwachsenen Bevölkerung der USA von subjektiven
paranormalen Erfahrungen (SPE) im Sinne von
"Gedankenübertragung" oder Hellsehen berichtet. Durch den
quantitativen Vergleich zeitlich und geographisch
unterschiedlicher Fallsammlungen wird nach gemeinsamen bzw.
divergierenden Patterns gefragt, die sich möglicherweise
durch konventionelle Hypothesen erklären lassen.
- In der Feldforschung geht es um die detaillierte
Untersuchung solcher Situationen, in denen Psi-Effekte
gehäuft aufzutreten scheinen. Paradigmatisch dafür
sind die sog. "Spukfälle" (auch RSPK [recurrent
spontaneous psychokinesis]-Phänomene genannt), bei denen
'unerklärte' physikalische Vorfälle (z. B.
Klopfgeräusche) zumeist in Gegenwart eines pubertierenden
Jugendlichen ("Spukauslöser", Fokusperson) auftreten. Eine
'objektive' Dokumentation des RSPK-Geschehens, die immer auch
mit "natürlicher" Ursachen und Betrugsmöglichkeiten
rechnen muß, wird mit der einzel- und
gruppendiagnostischen Erfassung des Interaktionsgeschehens
zwischen Fokusperson und seinem sozialen Umfeld (z. B. Familie)
gekoppelt, wobei geeignete Interventionsmaßnahmen im
Vordergrund stehen.
- Kontrollierte Laborexperimente haben zum Ziel,
operational definierte ASW- und PK-Hypothesen mit
unausgewählten Versuchspersonen zu testen.
Gebräuchlich sind zwei Methodologien:
- Bei der "beweisorientierten" Überprüfung der
ASW-Hypothese muß ein sensorisch abgeschirmter
"Empfänger" eine zufällig erzeugte Abfolge von
Symbolen, die ein räumlich entfernter "Sender"
betrachtet, 'erraten'. Eine statistisch signifikante
Abweichung der Ratefolge von der Zufallserwartung bei
genügend langen Versuchsserien wird als "Telepathie"
definiert; "Hellsehen" ist dann gegeben, wenn kein Sender
vorhanden ist; bei "Präkognition" erfolgt der
Ratevorgang, bevor die Zielfolge von einem
Zufallsprozeß erzeugt wird. Bei allen 3
Versuchsmodalitäten sind die Wahlalternativen zwischen
den Zielsymbolen begrenzt
("forced-choice-Methode"). Zur
Überprüfung der PK-Hypothese müssen
Versuchspersonen durch bloßes "Wünschen"
physikalische Zufallsereignisse (z. B. den Fall von
Würfeln) in eine vorher festgelegte Richtung
"beeinflussen". Zum heutigen Standard der PK-Forschung
gehören die "Schmidt-Maschinen", die auf dem
spontanen radioaktiven Zerfall beruhen und mit
verschiedenen Displays (optisch/akustisch) betrieben
werden.
- Der "prozeßorientierte" Zugang möchte die
psychologischen, situativen oder physikalischen
(Rand-)Bedingungen festmachen, von denen das Auftreten
statistisch gesicherter Psi-Effekte abzuhängen
scheint. Als Beispiel für einen Zusammenhang zwischen
Persönlichkeitsvariablen und Psi-Trefferleistungen ist
der "Sheep-Goat-Effekt" zu erwähnen, der
besagt, daß die durch einen Fragebogen gemessene
"positive" oder "negative" Einstellung der Versuchsperson
paranormalen Phänomenen gegenüber bzw. ihr Glaube
an "Erfolg" oder "Mißerfolg" im Experiment das
Ergebnis beeinflussen kann. Der prozeßorientierte
Zugang verwendet zumeist "free-response"-Methoden, bei
denen die Versuchsperson das ihr unbekannte Zielobjekt
(Target) in freien Einfällen beschreibt. Zu den
erfolgreichen Forschungsparadigmen in dieser Hinsicht
gehören
- Die experimentelle "Beeinflussung" von
Trauminhalten unter Laborbedingungen;
- Die "Remote-Viewing"
(Fernwahrnehmungs)-Experimente;
- Die Ganzfeld-Experimente, bei denen der
"Empfänger" in den Zustand einer milden
sensorischen Deprivation versetzt wird, während
der "Sender" ein zufällig ausgewähltes
komplexes Target (z. B. ein Bild) betrachtet.
4. Zum experimentellen und theoretischen
Forschungsstand
Die Mehrzahl der professionellen
'Parapsychologen', die in der Regel Mitglieder der 1957
gegründeten "Parapsychological Association" sind, geht von
folgendem Forschungsstand aus: Es gibt auf
phänomenologischer Ebene
"Psi-Anomalien", die sich
bisher nicht mit konventionellen Hypothesen erklären lassen,
ohne daß damit ein "paranormaler Prozeß" beteiligt
sein muß; "Psi-Effekte" sind zwar schwach, aber statistisch
gesehen "robust", wie insbesondere
Meta-Analysen von
ASW- und PK-Experimenten belegen; sie scheinen eher von
psychologischen Faktoren (etwa Persönlichkeitsmerkmalen wie
Extraversion/emotionale Stabilität oder Einstellungen)
abzuhängen als von physikalischen Größen (z. B.
Abschirmungen oder Distanzen), ohne daß sie steuerbar oder
trainierbar wären; veränderte
Bewußtseinszustände (Meditation, Hypnose, Entspannung,
Reizentzug) begünstigen zwar ihr Auftreten (
"psi
conducive states"), aber die spezifischen Bedingungen sind
nicht bekannt; manche Experimentatoren sind "erfolgreicher" als
andere, weil sie möglicherweise wirksamere "Psi-Quellen"
darstellen (
"Psi-Experimentator-Hypothese").
In der heutigen Theorienbildung der Parapsychologie
ist man von klassischen, an der Psychophysik orientierten
Vorstellungen, die unter ASW eine "Übertragung" von
Information, unter PK eine energetische "Beeinflussung" sehen,
weitgehend abgekommen; experimentell überprüfbare
Modellannahmen werden als "observational theories"
zusammengefaßt, die Psi-Effekte als nicht-lokale
"Korrelationen" zwischen quantenmechanischen Fluktuationen
und einem psychisch disponierten "System" (Beobachter)
auffassen.
5. Rezeptionsproblematik und Institutionalisierung
Der
Status der parapsychologischen Forschung ist in der
wissenschaftlichen Gemeinschaft umstritten
(
Psi-Kontroverse); die Parapsychologie hat sich auf der
einen Seite vom Verdacht der
Pseudowissenschaft
abzugrenzen, auf der anderen von einem
dogmatischen
Skeptizismus, der in allen Psi-Effekten a priori nur
Selbsttäuschungen, statistische bzw. experimentelle
Artefakte oder Betrug und Manipulation seitens Experimentator
und/oder Versuchsperson sieht. Obwohl es immer wieder
Ansätze zu einem konstruktiven Dialog zwischen
'Parapsychologen' und informierten 'Kritikern' gibt, ist es eher
unwahrscheinlich, daß in absehbarer Zeit die akademischen
Psychologie die Untersuchung von Psi-Effekten als legitimes
Forschungsgebiet anerkennen wird; die Vertreter der
wissenschaftlichen Parapsychologie unterliegen insofern einem
ständigen Legitimationszwang und sehen sich mit der
Rezeptionsproblematik einer "unorthodoxen" Wissenschaft
konfrontiert.
Wichtige universitäre
Forschungseinrichtungen sind: 'Division for Personality
Studies' am Medical Center der Universität Charlottesville
(Virginia), 'Princeton Engineering Anomalies Research Laboratory'
an der Universität Princeton (New Jersey),
'Arthur-Koestler-Lehrstuhl für Parapsychologie' am
Psychologischen Institut der Universität Edinburgh
(Schottland). In Deutschland ist die parapsychologische
Beratungs-, Informations-und Forschungarbeit hauptsächlich
an zwei Institutionen geknüpft, die alle in Freiburg i.Br.
ihren Sitz haben: das 1950 von dem Pionier der deutschen
Parapsychologie, Hans Bender (1907-1991), gegründete
'Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene
e.V.' (Direktor: D. Vaitl, Universität Giessen), das
über eine umfangreiche Spezialbibliothek verfügt, sowie
die im Rahmen der 'Wissenschaftlichen Gesellschaft zur
Förderung der Parapsychologie e.V.' (WGFP) gegründete
"Parapsychologische
Beratungsstelle" (W. v. Lucadou).
Weiterführende Hinweise enthält die
Literaturliste des IGPP.
Text: Eberhard Bauer